Leerlauf vor Lehrte - Die Fahrt nach Havelse


Lange es her, dass der 1. FC Magdeburg seinen größten Erfolg feiern durfte. Fast auf den Tag genau 38 Jahre nach der denkwürdigen Nacht von Rotterdam sieht die Realität für den Club ganz anders aus: Tristesse in der vierten Liga, drei Trainer in einer Saison verschlissen, nur durch eine (dennoch ungeliebte) Regionalligareform vor dem Abstieg geschützt und die Hallunken vom Platz an der Sonne winkend. Den tröstenden Einwurf, dass es ja kaum noch schlimmer kommen könne, spare ich mir an dieser Stelle - zu oft wurden wir in den letzten Jahren eines Besseren belehrt. Angesichts dieser Umstande wundert man sich, dass überhaupt noch jemand den Willen und die Kraft findet, Woche für Woche quer durch die Republik zu reisen und sich das Elend auch noch live anzusehen. So viel zur allgemeinen Lage.

Vier dieser Unverbesserlichen fanden sich nun also am 32. Spieltag zusammen, um das vorerst letzte Spiel des FCM in Havelse zu besuchen. Neben den Spreefeuerern Mike, Chris und Ralle fand auch Exil-Ostfriese Rudi seinen Platz im Auto. Das Navi wurde gefüttert, der Proviant verstaut und so machte sich die Fuhre pünktlich um 11 in Magdeburg auf den Weg. Noch bevor die ersten Flaschen der Marschverpflegung geleert waren, ließen wir die ehemalige Staatsgrenze hinter uns. Ein besonderer Augenblick, werden wir dieses Vergnügen im Zusammenhang mit Clubspielen ab der nächsten Saison doch wohl so schnell nicht wieder haben. Danke, DFB - die Mauer in den Köpfen muss stabil bleiben. Und während derartige Gedanken gesponnen wurden, ging der Ärger los...

Ein Stück hinter Braunschweig begrüßte uns eine Armada von Warnblinkern. Nun ja, Stau... Was will man machen? Kann ja nicht lange dauern. Und während wir uns anstellten und der Dinge harrten, die da passieren nun mögen, meldete der Verkehrsfunk eine Vollsperrung der A2, der Verkehr würde an der Ausfahrt Hämelerwald abgeleitet - Pustekuchen! Da waren wir nämlich eben erst vorbeigebraust, ohne irgendeinen Hinweis auf eine Umleitung. Während wir nun spekulierten, wie, wo, wann und warum überhaupt es weitergehen würde, wurde in Erfahrung gebracht, dass auch der Mannschaftsbus in den selben Stau geraten war, Das machte Hoffnung: Wenn keiner zum Spielen da ist, kann auch nicht angepfiffen werden. Gleichzeitig wurde versucht, aus Verkehrsfunk, Internet und Erkundung vor Ort ein klares Lagebild zu bekommen. Problematisch wurde die Lage, als die Information durchdrang, dass zumindest die Mannschaft es schon nach Havelse geschafft hatte, während unsereins noch 3km vor Lehrte-Ost stand und zur Pinkelpause unbeschadet quer über die A2 spazieren konnte. Bier war ja genügend an Bord (Danke, Mike!), sodass für diese Ausflüge hinter die Leitplanke hinreichend Anlass bestand. Lange Rede, kurzer Sinn: für die 8km von Hämerlerwald bis Lehrte-Ost brauchten wir geschlagene 3 Stunden. Und während wir da standen, hatte der Club schon 3 Tore kassiert. Man könnte nun die Meinung vertreten, dass uns damit einiges an Elend erspart geblieben war.

Etwa zeitgleich mit dem Anpfiff zur zweiten Halbzeit verließen wir dann tatsächlich die Autobahn. Allerdings nur, um uns in die Schlange derer einzureihen, die schon früher von der Autobahn abgefahren waren. Hier machte sich das geschulte Auge unseres erprobten Kraftfahrers bezahlt: Wir hefteten uns an die Fersen eines Ortskundigen und umfuhren so ein gutes Stück des Rückstaus. So schafften wir es tatsächlich, gute 10 Minuten vor Abpfiff am Stadion anzukommen. Während die ersten schon den Weg nach draußen suchten, baten wir um Einlass, der uns auch tatsächlich - kostenfrei und unkompliziert - gewährt wurde. Dann das übliche Programm, nur eben etwas schneller als sonst: Reinlaufen, Leute begrüßen, Bratwurst essen, Gegentor zur Kenntnis nehmen. Nebenbei erfuhren wir, dass die Sperrung der A2 schon seit 5 Uhr morgens bestanden hätte - der Versuch, aus dieser Information und den bisherigen Erlebnissen ein schlüssiges Bild zu entwerfen, misslang. Noch bevor wir uns einen richtigen Überblick verschafft hatten, war das Spiel auch schon vorbei. Aber wir hatten es geschafft und genossen den Augenblick, während sich das Stadion leerte. Für ein Gruppenbild vorm leeren Block wurde die Kamera einer Polizistin in die Hand gedrückt, die auch brav den Auslöser drückte.

Als wir uns dann doch daran machen wollten, das Stadion zu verlassen, winkte uns aber jemand aus dem Heimblock an den Zaun. Als Belohnung dafür, dass die Magdeburger sich also so friedliche Fans präsentiert hatten, wollte man uns noch zum Bierchen einladen. Wir verrieten erstmal nicht, dass wir an diesem Bild nicht viel Anteil hatten und wechselten die Tribüne. Hier wartete nun am Bierstand schon ein Grüppchen von angemessen angeschlagenen Eingeborenen und bat uns, bei der Leerung der Bier- und Wurstvorräte zu helfen, was dankbar angenommen wurde. Beruhigend war die Erkenntnis, dass auch die Havelser nicht wussten, was beim Club in den letzten Jahren schief gelaufen war. Es wäre ja zu bitter gewesen, wenn der geballte Sachverstand in den letzten Jahren in Havelse auf der Tribüne gessen hätte, während in Magdeburg die Ratlosigkeit regierte. Ratlos war man allerdings auch angesichts der Frage, mit wem denn der örtliche Fußballverein nächstes Jahr in der Liga zu tun haben würde. Hier konnten wir widerum nicht helfen. Im Anschluss wurden Pins getauscht, Bilder gemacht und Mailadressen aufgeschrieben, die sich später zu Hause beim Versuch der Kontaktaufnahme als fehlerhaft erwiesen. Aber nachdem man uns bat, beim Gehen "noch mal in den Grill zu greifen", wollten wir dann doch so langsam los.

Diese Aufbruchstimmung hielt ganze 30 Meter bis zum Parkplatz. Dort konnten wir beobachten, wie die Mannschaft vor dem Bus noch eine Stärkung einnahm (die vielleicht vor dem Spiel mehr geholfen hätte?). Thomas nahm dies zum Anlass, das Gespäch mit seinem Chemnitzer Landsmann zu suchen und wir wollten auch nicht doof in der Gegend rumstehen. Also gesellten wir uns dazu und plauderten noch ein wenig mit Team und Betreuern. Den eher halbherzigen Versuch einer Busblockade verstand unser Ex-Co-, dann Chef-, und dann wieder Co-Trainer durch einen erfolgreichen Pfannkuchen-Bestechungsversuch zu beenden. So trennten sich unsere Wege nach der unmissverständlichen Ansage des Busfahrers, dass er es eh kaum merken würde, wenn wir doch unter die Räder kämen. Während wir noch dem Bus hinterherwinkten, hatte auch noch Tickerdete samt seiner Begleiter der Weg aus dem Stadion gefunden. Also wurde auch hier noch ein kurzer Schwatz gehalten und dann ging es aber wirklich los.

Der Rest des Tages gestaltete sich ausnahmsweise unspektakulär: Chris wurde an einem Vorstadtbahnhof ausgeladen, Rudi in Magdeburg abgegeben und Mike und ich fanden schnell und komplikationslos nach Hause. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass es nach Havelse so schnell keine Touren mehr geben wird. So betrachtet, war diese ereignisreiche Reise vielleicht sogar ein schöner Schlusspunkt. Mal sehen, was Hannover uns am letzten Spieltag bieten kann - die A2 soll ja wieder frei sein.

Ralle

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